Hilfe für libanesische Patientinnen und Patienten
Sanaa Youssef Mousallem gehörte zur libanesischen Mittelklasse, die mit der Krise von 2019 verschwunden ist. Mit dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kollaps sind auch die sozialen Auffangnetze zerrissen. Die Mehrheit der Bevölkerung kann sich kaum mehr das Nötigste leisten. Der Andrang auf die Gesundheitszentren des Roten Kreuzes wächst von Tag zu Tag. Eine Folge der schweren Krise, die das Land erschüttert.
Text: Gilles Seuret | Fotos: Remo Nägeli
Stromausfälle sind überall im Land an der Tagesordnung. Im Gesundheitszentrum des Libanesischen Roten Kreuzes (LRK) in Ja El Dib am Stadtrand von Beirut dauern sie glücklicherweise nur so lange, bis der Notstromgenerator anspringt. Als Rosy Abi Abdallah (31), Allgemeinmedizinerin beim LRK, Sanaa Youssef Mousallem (56) ins Sprechzimmer führt, ist der Strom wieder da.
Die Herzrhythmusstörungen und der Bluthochdruck dieser Patientin waren lange unbemerkt geblieben, bis sie 2019 einen Tachykardie-Anfall erlitt. Eine Ambulanz des LRK brachte sie in die Notaufnahme.
«Das Rote Kreuz hat mir vor vier Jahren das erste Mal das Leben gerettet. Es tut dies auch weiterhin täglich, indem es mir die Medikamente zur Behandlung meiner Herzrhythmusstörungen fast umsonst abgibt. Ich könnte sie mir nicht leisten.»
Sanaa Youssef Mousallem (56) im Gesundheitszentrum von Jal El Dib am Stadtrand von Beirut
Für die Untersuchung und die Medikamente zahlt sie zwischen 60’000 und 80’000 libanesische Pfund. Das ist weniger als ein Schweizer Franken. Sogar der Kopfsalat auf dem Markt, auf den sie kürzlich verzichtet hat, kostet mit 100’000 Pfund mehr.
«So wie dieser Patientin geht es nun fast allen», erklärt Rosy Abi Abdallah. Rund 80 Prozent der libanesischen Bevölkerung müssen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze auskommen. In unseren Gesundheitszentren haben wir immer die Schwächsten aufgenommen. Bis vor ungefähr vier Jahren waren das fast nur geflüchtete Menschen. Inzwischen sind Einheimische in der Mehrheit. Und es werden täglich mehr.»
«Die Resilienz und die Solidarität der libanesischen Bevölkerung sind unglaublich. Wir haben keine andere Wahl. Diese Krise trifft uns alle. Meine Familie, meinen Freundeskreis, mich selbst, unsere Patientinnen und Patienten – alle leiden.»
Rosy Abi Abdallah, 31 Jahre, Allgemeinärztin beim LRK und medizinische Leiterin des Sozialmedizinischen Dienstes beim LRK
Heute sind es die drei Töchter, die für Sanaa Youssef Mousallem und ihren Ehemann sorgen. Die beiden jüngeren Töchter leben noch zu Hause und geben ihr gesamtes Gehalt für den Haushalt aus. Die Pläne der libanesischen Jugend beschränkten sich in den letzten Jahren darauf, ihre Familien irgendwie über die Runden zu bringen.
Für die eigene Gesundheit sorgen: eine tägliche Herausforderung
Unterernährte Kinder
Tripoli liegt 85 km nördlich von Beirut und gilt als eine der ärmsten Städte des Landes. Laut der Kinderärztin des Gesundheitszentrums des LRK, Zeina Abou Jamra (37), wirkt sich die Wirtschaftskrise auch auf die Gesundheit der Kinder aus.
«Das Lehrpersonal ruft uns wegen Schulkindern an, die im Unterricht einschlafen oder sich nicht konzentrieren können. Diese Kinder brauchen in der Regel keine medizinische Betreuung. Was ihnen fehlt, ist Nahrung.»
Zeina Abou Jamra, 37 Jahre, im Gesundheitszentrum des LRK in der nordlibanesischen Stadt Tripoli.
Das Libanesische Rote Kreuz im Einsatz
Zur aktuellen Lage
Die Reportage entstand vor der Eskalation des Israel-Gaza-Konflikts. Das SRK unterstützt seine Schwestergesellschaft weiterhin. Je nach Entwicklung der Lage wird diese Unterstützung sogar noch wichtiger. Denn das LRK, der wichtigste Anbieter medizinischer Notdienste im Libanon, könnte noch stärker gefordert sein als bisher. Priorität hat, im Einklang mit den humanitären Grundsätzen des Roten Kreuzes: Leben retten, Leiden lindern und grundlegende Dienstleistungen bereitstellen für notleidende Menschen.
Libanon: Gemeinsam für die Gesundheit
Vielen Familien fehlt es am Nötigsten. Helfen Sie uns, Leben zu retten und den Menschen im Libanon Zugang zur dringend benötigten Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.