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Arbeit hilft Geflüchteten über das Schlimmste hinweg

Reportage

Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, haben Schweres hinter sich. Der SRK-Kurs «Flucht und Trauma» hilft Gastfamilien und Geflüchteten.

Ein heller, freundlicher Kursraum, eine klare Präsentation und dynamische Referentin, nichts deutet darauf hin, von welchem Leid hier die Rede ist: Von Tod und Zerstörung und von Menschen, die mit ein paar Habseligkeiten im Koffer ihre ganze Existenz zurücklassen. Der unentgeltliche Intensivkurs «Flucht und Trauma» des Schweizerischen Roten Kreuzes hilft Gastfamilien, geflüchtete Menschen besser zu verstehen. Kursleiterin Andrea Stähli hat viel Erfahrung im Umgang mit Geflüchteten weiterzugeben.

Eine gemütliche Wohnküche mit einem Tisch, an dem man gerne sitzenbleibt. Für Isabel Stauffer und Guido Schüttel, Denis* und Ana Chayka* ist hier das Herz des gemeinsamen Raumes. Ana serviert fröhlich Wasser und Kaffee, als sei sie schon ewig lange hier.

Dabei sind es erst wenige Monate, seit Ana und Denis Chayka die Ukraine Hals über Kopf verlassen haben. Sie sagen beide wenig dazu. Und wenn Denis von seinen drei Kindern spricht, mit denen er jeden Abend telefoniert, findet er plötzlich gar keine Worte mehr.

Geflüchtete Menschen verstehen lernen

«Eine Flucht ist traumatisierend», erklärt Kursleiterin Andrea Stähli. «Doch nicht alle Menschen reagieren gleich darauf. Während einige Menschen Traumas in ihr Leben integrieren, spalten andere schreckliche Erlebnisse ab. Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, was in geflüchteten Menschen vorgeht». Für Isabel Stauffer hat der Kurs die Gelegenheit geboten, mit anderen Gastfamilien Erfahrungen austauschen. «Vieles war mir schon vertraut, aber es gibt doch immer wertvolle Tipps».

Für Denis Chayka ist es die zweite Flucht in seinem Leben. Mit 13 musste er mit seiner Familie Tschetschenien verlassen und in der Ukraine ein neues Leben aufbauen. «Ich bin das Neuanfangen gewohnt, ich nehme einfach meine Sachen und gehe woanders hin», sagt er lakonisch, ohne viel von seinen Gedanken und Gefühlen preiszugeben. «Ich will einfach nur ein normales Leben».

Nicht alle Menschen reagieren gleich.

Andrea Stähli, Kursleiterin

Solidarische Aufnahme

Das junge Paar hat ein Zimmer mit Toilette im Erdgeschoss. Küche, Bad und Wohnzimmer werden gemeinsam genutzt. Eigentlich wird dazu geraten, geflüchteten Menschen separate Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Aber in der lichtdurchfluteten, grosszügigen Wohnung finden alle Platz.

Zu Beginn sei es manchmal nicht ganz einfach gewesen, zu kommunizieren und den gemeinsamen Raum zu teilen. «Aber jetzt sind wir Freunde geworden», erzählt Isabel Stauffer. «Wenn es in der Küche zu tun gibt, haben Ana und ich es oft sehr lustig, und auch sonst kommen wir ziemlich gut aneinander vorbei».

Am Anfang sei sie viel müde gewesen und konnte sich nicht recht erholen, erinnert sich Isabel Stauffer. Seit sie ihr Arbeitspensum anders verteilt hat geht es ihr besser. Guido Schüttel muss auch hin und wiedermal einfach auf den Töff sitzen. «Rückzugsmöglichkeiten sind wichtig, betont Andrea Stähli. «Sie sind nicht für alles zuständig. Sie dürfen sich auch schützen», ermuntert Andrea Stähli ihre Kursteilnehmenden.

Isabel Stauffer und Guido Schüttel bedauern keine Sekunde ihren Entscheid, Gastfamilie zu sein. «Das Mindeste, was wir hier geben können, ist Raum», sagt Guido Schüttel. Isabel Stauffers Mutter hat als Kind eine äusserst brutale Flucht erlebt. «Wir hatten in meinem Elternhaus immer wieder Menschen aufgenommen, da erschien mir das einfach normal, Gastfamilie zu werden», erzählt sie. Auch in Guido Schüttels Familie waren immer wieder Menschen mit Fluchthintergrund zu Gast.

Das Mindeste, was wir hier geben können, ist Raum.

Guido Schüttel, Gastfamilie

Arbeit hilft bei der Integration

Isabel Stauffer hat sich sehr dafür eingesetzt, für Ana und Denis Chayka Arbeit zu finden. Nach zwei Monaten unterschreiben die beiden bei einem Gemüse-Produzenten den Vertrag. Sie ernten, waschen und kommissionieren elf Stunden täglich Gemüse, samstags nur am Vormittag, Arbeitsbeginn ist sechs Uhr. Denis, der einen Hochschulabschluss hat und im internationalen Management tätig war, weist mit einer starken Dankesgeste auf Isabel Stauffer. «Dank ihr können wir nun arbeiten».

«Arbeit» ist denn auch die Zauberantwort auf alle Fragen nach ihrem Befinden und ihren Gefühlen. Arbeit, damit der Tag geordnet vorbeigeht. Und Arbeit als erster Schritt in die Unabhängigkeit, der Schritt zur eigenen Wohnung, der erste Schritt dazu, die Kinder in die Schweiz holen zu können. Und ein normales Leben führen zu können.

«Das Beste was wir tun können, ist es, geflüchteten Menschen die Kontrolle über ihr Leben zurückzugeben», bringt es SRK-Kursleiterin Andrea Stähli auf den Punkt.

*Zum Schutz der Personen sind die Namen der Geflüchteten geändert

Kostenloser Kurs des SRK

Ein Kurs für alle, die Geflüchtete besser verstehen wollen

Bei traumatisierten Menschen reagiert das Hirn mit drei verschiedenen Verhaltensweisen: Erstarrung, Flucht oder Aggression. «Reagiert ihr Gast plötzlich mit Aggression, denken Sie daran, dass diese eventuell von einem traumatischen Erlebnis herrührt», erklärt die Kursleiterin des Roten Kreuzes in Solothurn, Andrea Stähli. Jemand, der sich teilnahmslos und apathisch verhält, befindet sich eventuell in einer Art Erstarrung, die es ihm unmöglich macht, Abmachungen und Terminen nachzukommen und ein soziales Leben zu führen. Menschen, die trotz allen Sprachkursen nicht weiterkommen, leiden womöglich darunter, dass die Lernfähigkeit im traumatischen Zustand stark eingeschränkt ist. Andrea Stähli hat auch viel Erfahrung mit Menschen, die vor anderen Konflikten geflüchtet sind und zum Teil Furchtbares erlebt haben. «Jedes Verhalten hat seinen guten Grund, auch wenn es auf den ersten Blick absurd scheinen mag, und wir es nicht verstehen», betont Andrea Stähli.

Andrea Stähli
Andrea Stähli, Leiterin Kurs «Flucht und Trauma» des Rotkreuz-Kantonalverbandes Solothurn, Bild SRK

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