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Historischer Moment in Syrien

Interview

Walter Berier hat als SRK-Delegierter in Damaskus den Machtwechsel in Syrien miterlebt. Im Interview berichtet er, wie gross die Überraschung war, was sich die Menschen erhoffen und wie sich die Nothilfe und die Entwicklungszusammenarbeit nun ausrichten werden. 

Interview mit Walter Berier

Walter Berier

Der 57-Jährige ist seit Oktober 2023 SRK-Delegierter in Syrien. Der Umweltingenieur hat einen Master in Public Health und arbeitet seit über 20 Jahren in der internationalen Zusammenarbeit. 

Wie hast du vom Machtwechsel erfahren?

Ich war am 8. Dezember 2024 zu Hause in Damaskus und trank am frühen Morgen einen Kaffee. Aus einer Chat-Gruppe der Rotkreuz-Organisationen, die in Syrien tätig sind, erfuhr ich, dass Damaskus eingenommen wurde und der langjährige Machthaber Baschar al-Assad geflohen war. Wir waren alle sehr überrascht, dass die Kämpfer über Nacht von Homs in die Hauptstadt eindringen konnten. Ich musste mich erst mal hinsetzen und über die ganze Tragweite der Ereignisse nachdenken. Dann hat sich eine verhaltene Freude eingeschlichen, verbunden mit der Sorge, wie es nun weiter gehen könnte. 

Und, wie ging es weiter?

Ich habe während vier Tagen die Wohnung nicht verlassen. Aus Sicherheitsgründen sollten wir ohnehin stets genügend Essen, Wasser und ein Funkgerät zu Hause haben. Immer wieder hörte ich Detonationen und Schiessereien in unmittelbarer Nähe. Zum Glück funktionierte das Internet über das Mobiltelefon, denn Strom gab es nur selten. Am vierten Tag erfuhren wir, dass die Grenzen geöffnet wurden und dass das IKRK einen Konvoi für uns vier verbliebene Rotkreuz-Delegierte organisiert hatte. Obschon die Machtübernahme in Damaskus weitgehend ohne militärische Kämpfe vor sich gegangen war, war die Situation unberechenbar und ein Ausbrechen von Gewalt durchaus möglich. Wir wurden deshalb vorsorglich evakuiert. Ich wurde in einem gepanzerten Fahrzeug abgeholt und ins Büro gebracht. Von da aus fuhr uns das IKRK über die Grenze nach Libanon. Es herrschte Chaos: Wir mussten das letzte Stück vor der Grenze zu Fuss gehen, weil so viele unterwegs waren – Assads Anhängerschaft versuchte das Land zu verlassen. 

Wie war es, wieder nach Syrien zurückzukehren?

Vom Libanon aus reiste ich am 6. Januar 2025 zurück nach Damaskus, das war der erstmögliche Tag. Es war etwas Besonderes, diesen historischen Moment und die Aufbruchstimmung miterleben zu dürfen.

Es war etwas Besonderes, diesen historischen Moment und die Aufbruchstimmung miterleben zu dürfen.

Ich war beeindruckt, wie sehr die Leute den Wechsel feierten – fast wie beim Karneval. Ich spüre grosse Hoffnung bei den Menschen. Die Freude überwiegt, doch viele sorgen sich, dass strenge islamische Regeln eingeführt werden könnten. Das syrische Volk ist freiheitsliebend und besteht aus vielen Minderheiten. 

Beobachtest du Veränderungen?

Beim Einkauf im Laden um die Ecke sah ich, dass nun als erste westliche Produkte auch bei uns bekannte Schokoriegel erhältlich sind. Die Treibstoffpreise gehen runter, somit kosten einige Produkte weniger. Das entlastet das Budget von syrischen Familien. Gemäss dem letzten Weltbankbericht leben 90 Prozent aller Haushalte in Armut und die Hälfte davon in extremer Armut. 

90 Prozent aller syrischen Haushalte leben in Armut und die Hälfte davon in extremer Armut.

Sie erinnern sich an die Perspektiven, die sie vor dem Bürgerkrieg hatten. Sie hoffen, dass ihr Leben wieder besser wird. 

Wie konnte das SRK in den letzten schwierigen Jahren die syrische Bevölkerung unterstützen?

Das war möglich in enger Zusammenarbeit mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond (SARH). Dieser ist enorm wichtig für die Gesundheitsversorgung in Syrien und hat während dem Bürgerkrieg auch schwer zugängliche Regionen erreicht. Seit 2018 hat das SRK eine Delegation in Damaskus. Zuletzt unterstützten wir sechs Gesundheitszentren mit Ambulanzen und organisierten Erste-Hilfe-Trainings für die Bevölkerung.

Das SRK leistete Nothilfe, sowohl für die schwer vom Krieg betroffene Bevölkerung wie auch in der Region der Erdbebenkatastrophe vom Februar 2023.

Zudem leistete das SRK immer wieder Nothilfe, sowohl für die schwer vom Krieg betroffene Bevölkerung wie auch in der Region der Erdbebenkatastrophe vom Februar 2023. Wir pflegen auch eine enge Zusammenarbeit mit dem DEZA-Büro vor Ort.

Wird das SRK nun seine Zusammenarbeit mit Partnern in Syrien ausbauen?

Mit Mitteln der DEZA und eigenen Finanzen unterstützen wir die Nothilfe des SARH. Wir Rotkreuz-Partner vor Ort koordinieren uns dazu. Es wird jetzt sehr viele intern Vertriebene geben, die wieder in ihre Heimatregion zurückkehren wollen. Auch rechnen wir mit vielen Rückkehrenden aus dem Ausland. Diese Menschen werden wir unterstützen, damit sie bald wieder eine Existenzgrundlage haben. Natürlich möchten wir die Unterstützung weiter ausbauen und mithelfen, den Menschen eine gute Perspektive in ihrem Land zu geben.

Welche Bedürfnisse haben die Menschen nun?

Sie wünschen sich Sicherheit und ein angstfreies Leben. Besonders Familien auf dem Land brauchen Unterstützung für den Lebensunterhalt, genügend Trinkwasser und Wohnraum. Im ganzen Land muss zudem die zerstörte Strom- und Wasserversorgung wiederhergestellt werden.

Wie kann das SRK bedarfsgerecht Unterstützung leisten?

Überall wo die Märkte einigermassen funktionieren, ist Bargeld-Hilfe für Haushalte besonders effizient. So können die Menschen das kaufen, was sie gerade am dringendsten benötigen. Es ist auch sinnvoll, den Aufbau einer Existenzgrundlage mit einem Startkapital zu unterstützen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Bargeld-Hilfe ist besonders effizient – so können sich die Menschen das kaufen, was sie am dringendsten benötigen.

Weil die Trinkwasserversorgung in den nächsten Jahren noch nicht gewährleistet ist, wird es weiterhin Unterstützung im Hygiene-Bereich brauchen: zum Beispiel Chlortabletten zur Aufbereitung von Trinkwasser, Schulungen zur korrekten Anwendung und schliesslich das Verankern von Hygiene-Routinen im Alltag, um die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten zu verhindern. 

Schweres Erdbeben vor zwei Jahren

Welche Zukunft nach dem Erdbeben?

Am 6. Februar 2023 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7.8 Teile Syriens und der Türkei. Es forderte über 55000 Tote und hunderttausende Menschen verloren ihr Zuhause. Über acht Millionen Menschen waren in Syrien mitten im bitterkalten Winter direkt betroffen.

Sofortige Hilfe vor Ort

Die Freiwilligen des Syrisch-Arabischen Roten Halbmondes (SARH) versorgten die Überlebenden von den ersten Stunden an mit warmen Decken, Lebensmitteln, Trinkwasser und psychosozialer Unterstützung.

Wirksame Unterstützung des SRK

Das SRK unterstützte die Nothilfe und die Wiederaufbau-Massnahmen seiner Partnerorganisation SARH finanziell, technisch und mit Fachpersonal.

Wiederaufbau geht weiter

Wichtig ist noch immer die weiterführende Unterstützung, damit die betroffenen Menschen wieder ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das SRK unterstützt besonders verletzliche Haushalte mit regelmässiger Bargeldhilfe und einkommensschaffenden Massnahmen.

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