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Leichter leben mit Autismus

Reportage

Juana Goiris Giménez lebt als erwachsene Frau mit Autismus in einem ländlichen Dorf in Paraguay. Ihre Eltern betreuten sie jahrzehntelang alleine. Sie waren überfordert und wurden von den anderen Dorfbewohnern ausgegrenzt. Seit die Rotkreuz-Freiwillige und Psychologin, Yannylce Ortiz, die Familie begleitet, ist das Leben für alle leichter geworden.

Text: Franziska Bundi | Fotos: Nicolas Righetti

Im kleinen Dorf Laguna negra in Paraguay wächst Juana Goiris Giménez als Jüngstes von sieben Geschwistern auf. Ihren Eltern Josefa Giménez und Juan Goiris fällt früh auf, dass Juanita - wie sie ihre Jüngste liebevoll nennen - anders ist und kaum Fortschritte macht.

Als ihre Jüngste 12 Jahre alt ist, erhalten sie die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Autismus kommt aus dem Griechischen und bedeutet «sehr auf sich bezogen sein». Doch das erklärt den Eltern niemand, auch nicht, was ihre Tochter brauchen würde. Die mittellose Familie kann es sich nicht leisten, eine spezialisierte Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen. Die Eltern leiden fast vierzig Jahre lang still.

Am Rande ihrer Kräfte

Vor rund einem Jahr besucht die Rotkreuz-Freiwillige Yannylce Ortiz die Familie zum ersten Mal. Sie ist Psychologin und hat sich auf Kinder mit Autismus spezialisiert. «Als ich Juanita kennenlernte, war sie untergewichtig und dehydriert. Sie trug keine Kleider», erzählt sie. 

Die über 80-jährigen Eltern waren am Rande ihrer Kräfte, weil sie kaum schlafen konnten. Hinzu kamen die schwer zu ertragenden Stunden, in denen Juana Goiris Giménez nicht mit Schreien aufhörte. Wenn die Eltern nicht mehr weiterwussten, schlossen sie ihre Tochter in ein Zimmer ein. 

Eine ältere Frau füttert ihre Tochter am Küchentisch.

Untergewichtig und dehydriert

Die Psychologin fragt die Mutter beim ersten Besuch: «Wie merkst du, dass Juana hungrig oder durstig ist?» Sie erfährt, dass es niemand weiss, da Juana Goiris Giménez nicht spricht. Die Mutter flösst ihr über den Tag verteilt mit einem Löffel Wasser ein und füttert ihre Tochter.

Kleider reisst sich die 39-jährige Frau kurzum wieder vom Leib. «Aufgrund einer hohen Sensibilität ertragen viele Menschen mit Autismus den Stoff auf der Haut nicht», erklärt Yannylce Ortiz. Die 41-jährige Psychologin hat selber einen Sohn mit einer Autismus-Spektrum-Störung und weiss, dass die Therapien für die von Armut betroffene Familie unerschwinglich sind.

«Die erste Zeit war sehr schwierig», betont sie. Man merkt ihr deutlich an, wie nahe ihr das Schicksal der Familie geht, die sich fast 40 Jahre lang allein durchkämpfen musste und mangels Aufklärung von den Dorfbewohnenden ausgegrenzt wurde.

Yannylce Ortiz
Die Familie kann sich die Therapien und Medikamente für ihre Tochter nicht leisten. Gehen die Medikamente aus, bezahle ich sie manchmal selber.

Yannylce Ortiz, Rotkreuz-Freiwillige und Psychologin

Die Rotkreuz-Freiwillige besucht die Familie jeden Mittwochabend. Sie sorgt dafür, dass ihr Schützling die dringend benötigten Medikamente erhält. Dank der Medikamente wird sie ruhiger und schläft endlich die Nächte durch.

Wie ein Wunder - Fortschritte in kurzer Zeit

Gegen soziale Ausgrenzung

Als Ortiz sieht, wie die Kinder beim Anblick der 39-jährigen Frau wegrennen, ruft sie ihre Kolleginnen und Kollegen vom Roten Kreuz an. Sie organisieren ein Treffen mit der Dorfbevölkerung und klären über Autismus auf.  

Josefa Giménez
Die Kinder im Dorf hatten Angst vor Juana, deshalb haben wir uns nicht getraut, mit ihr nach draussen zu gehen.

Josefa Giménez, Mutter einer erwachsenen Tochter mit Autismus

Eine vierzigjährige Frau geht barfuss an einer Reine von sitzenden Frauen und Kindern vorbei.

Die grösste Sorge, jeden Tag

Eine ältere Frau und ihre 40-jährige Tochter drücken ihre Wangen aneinander und lächeln.

Josefa Giménez und Juan Goiris staunen, was Yannylce Ortiz in so kurzer Zeit bewirkt hat. Sie sind glücklich, dass es ihrer Tochter so viel besser geht. Die Eltern herzen die Rotkreuz-Freiwillige.

Doch wer kümmert sich um ihre Juanita, wenn sie es nicht mehr können? «Das ist meine grösste Sorge, jeden Tag», sagt Josefa Giménez.

Wieder ist es die Rotkreuz-Freiwillige, die bei den Vorbereitungen hilft. Sie will erreichen, dass die Geschwister sich vermehrt um ihre Schwester kümmern. Yannylce Ortiz ist zuversichtlich. Sie ist stolz auf das, was sie für Juana Goiris Giménez und ihre Eltern erreicht hat: «Als Mutter, Rotkreuz-Freiwillige und Psychologin», wie sie lächelnd sagt. 

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