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Zu hohe Hürden für humanitäre Visa

Inhaltsübersicht

News

Im Jahr 2021 erreichte uns eine überwältigende Anzahl von Anträgen. Insgesamt erhielten wir über 4’800 Anfragen. Davon knapp 4’100 Anfragen für Unterstützung beim Beantragen eines humanitären Visums. Bei den restlichen Anfragen ging es um Fragen zu Reisen oder Familiennachzug.

Der Beratungsdienst war spätestens ab Mitte August überlastet, insbesondere aufgrund der Anfragen von Personen aus Afghanistan. Dennoch ist die Zahl der vom SEM erteilten Visa im Vergleich zur Anzahl erhaltener Anfragen beim SEM und beim SRK verschwindend klein.

Humanitäre Visa: Hohe Hürden und restriktive Kriterien

Für ein humanitäres Visum stellen sich zahlreiche Herausforderungen. Einerseits sind dies praktische Schwierigkeiten und andererseits die sehr restriktiven Kriterien des Staatssekretariats für Migration (SEM).

Überblick humanitäre Visa im 2021

Über 4'000 der bei uns eingegangenen Anfragen erreichten uns zwischen August und Dezember. Davon waren gut 3'400 Personen aus Afghanistan.

Das Staatssekretariat für Migration hat 2021 weniger als 100 (94) humanitäre Visa vergeben – 37 davon an afghanische Staatsangehörige. Dies obwohl es zu Afghanistan 10'000 Anfragen erhalten hatte.

2021 haben wir für 84 Personen eine Vorabklärung beim SEM gemacht. 73 dieser 84 Personen haben eine negative Antwort erhalten. Elf Personen haben eine mehr oder weniger positive Antwort erhalten («prüfenswert»). Eine dieser Personen (eine minderjährige, unbegleitete Afghanin) erhielt nach der Vorabklärung dann doch einen negativen Entscheid in Islamabad. Daraufhin haben wir Einsprache erhoben und das Visa wurde doch noch erteilt. Aktuell organisieren wir ihre Einreise in die Schweiz. Keine Anfrage wurde klar positiv beantwortet.

Praktische Schwierigkeiten

Die Auswirkungen der Situation in Afghanistan haben gezeigt, dass in der Schweiz – auch mit professioneller Unterstützung – humanitäre Visa sehr selten bis nie erteilt werden. Von 4'100 Anfragen beim SRK zu humanitären Visa, haben 2021 nur 6 Personen ein humanitäres Visum erhalten.

Schwierige Ausreise

Das Gesuch für ein humanitäres Visum muss persönlich bei einer Schweizer Vertretung eingereicht werden. In Afghanistan gibt es aber keine Vertretung. Eine legale Ausreise aus Afghanistan ist im Moment sehr schwierig. Die Möglichkeiten sind begrenzt und vielen Menschen fehlen die nötigen Ausweispapiere.

Beweismaterial grösstenteils vernichtet

Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich beim Beschaffen von «Beweismaterial». Die Beweislast liegt vollständig bei den Personen, die ein humanitäres Visum beantragen. Um die akute und konkrete Gefährdung zu beweisen, müssen verschiedene Dokumente eingereicht werden. Diese Dokumente werden teilweise beim Niederbrennen von Häusern durch die Taliban vernichtet. Oder sie wurden von betroffenen Personen bewusst vernichtet, um sich vor den Taliban zu schützen. Beispielsweise wenn es sich um Dokumente handelt, die eine Zusammenarbeit mit den USA oder der ehemaligen Regierung bezeugen.

Selbst wenn die Personen zahlreiche Dokumente vorweisen können, die beispielsweise ihre Arbeit für die vorangegangene Regierung beweisen oder belegen, dass sie von den Taliban bedroht werden, bleibt die Erteilung eines Visums ungewiss. Gerade die Drohbriefe der Taliban werden z. T. nicht als solche anerkannt, da sie handschriftlich und somit leicht zu fälschen sind.

Restriktive Kriterien

Die Kriterien für ein humanitäres Visum sind fast nicht zu erfüllen. Zudem wurden sie in den letzten Jahren weiter verschärft. In der Praxis sehen wir, dass Fälle, die früher positiv bewertet wurden, letztes Jahr abgelehnt wurden.

Folgende Aussage zeigt die Verzweiflung einer Angehörigen aus der Schweiz. Sie hatte mit unserem Beratungsdienst Humanitäre Visa telefoniert, nachdem die Anfrage für eine Chancen-Einschätzung negativ beurteilt wurde: «Aber warum heisst es humanitäres Visum? Es IST ein humanitärer Notfall. Meine Schwester wird sterben!»

Aber warum heisst es humanitäres Visum? Es IST ein humanitärer Notfall. Meine Schwester wird sterben!

Angehörige aus der Schweiz, deren Schwester eine negative Vorabklärung erhalten hat

Was wir tun

Lobbying und Advocacy

Wir setzen uns dafür ein, dass humanitäre Visa wirklich zur Anwendung kommen. Das humanitäre Visum hat einen wichtigen Zweck: Es soll gefährdeten Personen Zugang zu internationalem Schutz gewährleisten.

In unserer Medienmitteilung von Mitte AugustÖffnet ein neues Fenster forderten wir öffentlich rasche Lösungen zum Schutz von vulnerablen Menschen in Afghanistan. Wir führen Gespräche mit den zuständigen Stellen beim SEM und sind im Dialog mit Politikerinnen und Politikern.

Informationen zu humanitären Visa

Angehörige in der Schweiz sorgen sich um das Leben ihrer Familienmitglieder und Freunde. Wir bieten ihnen Informationen für die Vorbereitung einer Gesuchseinreichung.

Aufgrund der wenigen positiven Antworten haben wir unseren Beratungsdienst Humanitäre Visa Ende 2021 eingestellt. Aktuell sind wir daran, uns auf unseren neuen Fokus vorzubereiten. Wir konzentrieren unsere Ressourcen neu auf den Familiennachzug und stellen neue Mitarbeitende ein .

Beratungsdienst Humanitäre Visa 2021

0Informationen abgegeben

Wir haben fast 3'600 mal Informationen zu humanitären Visa abgegeben.

0Vorabklärungen

Wir haben Vorabklärungen zu 84 Personen beim SEM eingereicht. 73 wurden negativ beantwortet.

0Vertiefte Beratungen

Wir haben gut 530 Personen vertieft während des Prozesses des Visumsgesuchs unterstützt.

Stimmen aus dem Beratungsdienst Humanitäre Visa

Beim Beratungsdienst Humanitäre Visa klingelten seit Mitte August bis Ende Dezember 2021 die Telefone sturm. Es wurden neue Mitarbeitende eingestellt und geschult. Trotzdem blieb die Arbeitsbelastung nach wie vor sehr hoch. Aber das Schwierigste sind nicht die zusätzlichen Stunden, sondern die Geschichten und das Gefühl der Hilflosigkeit.

Das Schlimmste ist nicht der Arbeitsaufwand, sondern die emotionale Belastung. Wenn wir so viele Geschichten von Verfolgung lesen, ohne Aussicht auf Hilfe, werden wir zynisch, distanziert, unmotiviert und erschöpft. Was uns am Laufen hält, ist der Zusammenhalt im Team und die gegenseitige Fürsorge.

Mitarbeitende des Beratungsdienstes

Afghanen und Afghaninnen, die sich bereits in der Schweiz aufhalten, leiden sehr unter der Perspektivlosigkeit ihrer Angehörigen. Die Belastung für die Angehörigen in der Schweiz ist enorm: ihre psychische Gesundheit steht auf dem Spiel. Ihre Integration wird mit Sicherheit leiden, wenn sich die Situation nicht ändert.

Mitarbeiter des Beratungsdienstes

Alle Situationen sind so dringend und dramatisch, dass es schwer ist, Prioritäten zu setzen.

Mitarbeitende des Beratungsdienstes

Möglichkeiten neben humanitären Visa

Resettlement-Programme und Familiennachzug

Es gibt noch zwei weitere Formen legaler Fluchtwege in die Schweiz: Resettlement-Programme und Familiennachzug. Diese wurden bis jetzt aber ebenfalls beschränkt und restriktiv angewendet. Zudem sind Resettlement-Kontingente vor allem für Personen vorgesehen, die seit längerem als Flüchtlinge in einem Drittstaat registriert sind. Die Schweiz hat für das Programm 2020/2021 ein Kontingent von bis zu 2000 Resettlement-Flüchtlingen. Bis Dezember 2021 wurden jedoch lediglich 1380 Flüchtlinge in die Schweiz gebracht. Wir plädieren dafür, dass dieses Kontingent in der Schweiz und auch in weiteren Staaten erhöht und entsprechend genutzt wird. Der Bedarf ist gross – das zeigen insbesondere die Anzahl Asylanträge und die grosse Menge an irregulären Fluchtbewegungen.

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